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Beitrag vom 03.09.2009
Tears of April von Aku Louhimies
Claire Horst
Die Ankündigung des Films lässt einen romantischen Film voller Tragik und Naturschönheit erwarten. "Eingebettet in die zauberhafte Landschaft der finnischen Westküste" erzähle der Regisseur...
... "die Geschichte einer bedingungslosen Liebe und von eindringlichen Momenten der Menschlichkeit", heißt es im Pressetext. Das ist nicht ganz falsch. Es geht auch um Liebe in diesem Film. Allerdings ganz anders, als wir es aus dem klassischen Beziehungsdrama kennen. Und auch das Wort "Menschlichkeit" erhält hier eine andere Bedeutung.
Finnland 1918, es herrscht der erbarmungslose Kampf der regierenden "Weißen" gegen die "Roten", kommunistische WiderstandskämpferInnen. Vor diesem Hintergrund erzählt Louhimies seine psychologisch hoch aufgeladene Handlung. Und bereits der furiose Einstieg macht deutlich, dass hier keine gewöhnliche Liebesgeschichte dargestellt wird: Eine Gruppe Partisaninnen wird gefangen genommen, brutal vergewaltigt und schließlich ermordet. Der blutjunge, idealistische Soldat Aaro Harjula (Samuli Vauramo) jedoch hat sein Gerechtigkeitsempfinden noch nicht verloren. Er besteht darauf, die einzige Überlebende Miina (Pihla Viitala) in die nächste Stadt vor ein ordentliches Gericht zu bringen. Dort gebe es einen humanistischen Richter, einen berühmten Schriftsteller, der sie gerecht behandeln werde.
Mit einem Ruderboot transportiert er die Gefangene gegen den Willen seiner Vorgesetzten zu dem Gericht auf dem Festland. In dramatischen Szenen kentert das Boot, stranden sie auf einer Insel, verliebt Aaro sich in die schöne Miina. Dabei fällt kaum ein Wort – Landschaft und Körpersprache der Personen sprechen für sich. In der Küstenstadt angekommen, muss Aaro erkennen, dass auch Emil Hallenberg (grandios: Eero Aho) durch den Krieg korrumpiert wurde. Gerechtigkeit gibt es nicht – er ist zu einem Alkoholiker verkommen, der alle Angeklagten zum Tode verurteilt und sich danach bei Beethoven-Sonaten erholt. Aus Moralempfinden und aus Liebe lehnt Aaro sich gegen die Entscheidung des Richters auf – ein Bruch in seinem Leben, hatte er doch bislang geglaubt, für eine gerechte Sache zu kämpfen.
Die Oberflächenstruktur des Films ist damit beinahe komplett erzählt. Und auf dieser Ebene scheint die Handlung nichts Neues: Ein Mann steht vor der Entscheidung zwischen seinem Dienstethos und seiner großen Liebe. Scheinbar bleibt die Frau (die im gesamten Film kaum zwei Sätze sagt) in der Rolle des Objektes. Doch der Schein trügt. Zwar gibt es auch hier eine Dreiecksbeziehung, Mittelpunkt unzähliger Filme, von "Casablanca" über "Jules und Jim" bis zu "Jerichow". Üblicherweise wird der Kampf von zwei Männern um eine Frau geschildert, während die Frau das Objekt der männlichen Begierde bleibt.
Louhimies stellt all das auf den Kopf. Zwar ist es auch hier zunächst Aaro, der die Handlung vorantreibt. Er ist es, der eine moralische Entscheidung treffen muss. Mit ihm identifizieren sich die ZuschauerInnen. Aaro ist allerdings eine schwache Figur, deren Ideale komplett in die Brüche gehen. Sein Gegenspieler, Emil Hallenberg, ist ein ebenso gebrochener Mensch. Das Begehren hat hier eine andere Richtung: Aaro ist es, den der Richter will. Jede sexuelle Szene, und davon gibt es einige in dem Film, widerspricht dem klassischen Beziehungsgefüge. Sex wird in Form von Vergewaltigungen als Kriegswaffe eingesetzt, als Tauschhandel oder Bestechungsversuch benutzt. Dabei spielt die Bildersprache eine große Rolle: Sowohl hetero- wie homosexueller Sex gehorcht hier nicht den Regeln der Darstellung, an die wir gewöhnt sind.
Die Verwirrung, die Louhimies mit dem Niederreißen gewohnter Muster auslöst, hängt auch mit dem Aufbau des Films zusammen. Geschieht in der ersten halben Stunde fast nichts, haben die ZuschauerInnen Zeit, sich mit der kargen und abweisenden Landschaft des winterlichen Finnland vertraut zu machen – und sich aufgrund der kaum vorhandenen Dialoge etwas zu langweilen. Streckenweise erinnert der erste Teil an die manchmal hölzernen Gesprächsszenen eines Rosa von Praunheim. Und dann: In einer unglaublich starken, kammerspielartigen Szene reißt der großartige Eero Aho als Richter Hallenberg das Steuer herum. Der auf Deutsch rezitierte "Erlkönig" ist die Folie, vor der sich das Beziehungsgeflecht aufbaut: Brutalität, Sex, Macht in einer Atmosphäre, die von Attributen des Bildungsbürgertums geprägt ist.
Und von hier an ist der eigentümliche Bann des Films nicht mehr zu durchbrechen. Psychologische Machtspiele, Sexualität als Kampfmittel und schließlich die Verkehrung von Subjekt und Objekt sind die zentralen Momente des Films. Aaro als Protagonist, eigentlich die klassische männliche Identifikationsfigur, ist ein Michael Kohlhaas, der sich selbst zugrunde richtet durch sein Beharren auf seinen Idealen. Er ist es, der sich opfert – nicht die Frau. Die Frau, häufig reines Abziehbild männlicher Fantasien, ist hier eine starke Persönlichkeit, obwohl sie keinen Einfluss auf das Geschehen hat. Den gesamten Film hindurch ist sie Gefangene, männlichen Interessen ausgeliefert. Und dennoch ist sie die einzige Figur, die ihren Überzeugungen treu bleibt und überlebt. Damit werden klassische Erzählstrukturen auf den Kopf gestellt. Etwas widersprüchlich dann ist das Ende, das eine positive Wendung ausdrücken soll, die Hoffnung darauf, dass das menschliche Leben nicht auszurotten ist. Und dennoch wird damit das klassische Muster wieder durch die Hintertür eingeführt: Unserer Biologie entkommen wir nicht, besonders dann nicht, wenn wir Frauen sind.
AVIVA-Tipp: Die SchauspielerInnen agieren mit einer derartigen Intensität, dass beim Zuschauen schon einmal die Luft wegbleibt. Dennoch bleiben die Figuren merkwürdig unnahbar und losgelöst von den ZuschauerInnen. Es ist eine Parabel, die hier aufgeführt wird, eine Aufführung existentieller menschlicher Konflikte. Dazu braucht der Regisseur keine realitätsnahen Identifikationsfiguren.
Irritierend und ungewöhnlich ist die Offenheit des Films für unterschiedliche Lesarten. Wer möchte, kann ihn unter ganz anderen Vorzeichen betrachten und hier eine große Liebesgeschichte sehen. So erklärt der Regisseur: "Ich wollte eine universelle Liebe erzählen. Für mich ist Liebe eine unergründliche Kraft, die keinen Regeln folgt." Der Darsteller des Emil Hallenberg sieht den historischen Kontext im Zentrum: "Die Ereignisse waren schon immer ein Widerspruch in unserer Geschichte, ein Trauma, über das in Finnland noch oft geschwiegen wird. Unsere Generation ist die erste, die bereit ist, diese Wunden zu öffnen." Darauf bezieht sich auch die Autorin der Romanvorlage, Leena Lander: "Eine Besonderheit bildeten im finnischen Bürgerkrieg die weiblichen Soldaten. Sie wurden expliziter verfolgt, gnadenlos bekämpft und verachtet."
Das Großartige an diesem Film ist seine Vielschichtigkeit. Statt der angekündigten "zauberhaften Landschaft" zeigt Kameramann Rauna Ronkainen eine schroffe und abweisende Natur, in der die Menschen ganz auf sich gestellt sind. Wunderschön ist sie trotzdem. Und auch die Figuren sind alles zugleich: Liebende, Monster, unnahbare Theaterfiguren. Ein unglaublicher Film.
Zum Regisseur: Aku Louhimies wurde 1968 geboren. Er hat bereits vier Spielfilme und zahlreiche TV-Serien gedreht. Sein Debütfilm "Restless" (2000) war mit 290.000 BesucherInnen der erfolgreichste Kinofilm des Jahres in Finnland. Seine Serie "Irtiottoja" gewann zahlreiche Preise. "Frozen Land" (2005) erhielt auf dem Festival von Göteborg alle zu vergebenden Preise. Auch "Frozen City" (2006) wurde mehrfach ausgezeichnet.
Zur Autorin der Romanvorlage: Leena Lander ist eine der erfolgreichsten AutorInnen der finnischen Gegenwartsliteratur. Ihre Romantrilogie "Die Insel der schwarzen Schmetterlinge", "Mag der Sturm kommen" und "Im Sommerhaus" war ein großer Erfolg. Ihr Roman "Käsky", die Vorlage zum Film, erschien 2005 auf Deutsch unter dem Titel "Die Unbeugsame". Ihre Werke wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet und in mehrere Sprachen übersetzt.
Tears of April
Finnland 2008
109 Minuten
Finnisch mit deutschen Untertiteln
FSK 16
Nach dem Roman "Die Unbeugsame" von Leena Lander
Filmstart: 03. September 2009
Regie: Aku Louhimies
Buch: Jari Olavi Rantala
Kamera: Rauno Ronkainen F.S.C.
DarstellerInnen: Samuli Vauramo, Pihla Viitala, Eero Aho, Eemeli Louhimies und andere
Der Film im Netz: www.venusfilm.de
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